Uke auf Adams Dan-Prüfung

Wir stehen uns gegenüber, circa vier Meter Abstand, schauen uns ins Gesicht. Gleich wird Adam tief einatmen, ausatmen – unser vereinbartes Zeichen – dann wird er losgehen. Ich werde dies´ ebenfalls tun - möglichst zeitgleich. In der Mattenmitte werden wir uns dann treffen. Ich werde Adams Handgelenke greifen und versuchen, ihn mit einem Kniestoß in den Unterleib - ausgeführt mit dem rechten Bein - zu besiegen. Genau so, und kein bisschen abgeändert, schreibt die Kata es vor. Eine Kata ist eine festgelegte Form verschiedener Bewegungen. Es ist die klassische Form, Selbstverteidigungstechniken zu erlernen. Wir führen sie hier vor, weil Adam heute die Prüfung zum 1. Dan Jiu Jitsu, dem ersten schwarzen Gürtel ablegt. Adam geht los – ich auch – drei Schritte – zwei – der letzte Schritt - wir haben uns erreicht – Griff zu den Handgelenken - Kniestoß – Adams Abwehr – Ausweichen – Hebel – aus dem Gleichgewicht ziehen – fertig. Mein rechter Arm ist fest unter Adams linken fixiert, mein Handgelenk bis an seine Grenze verdreht – ich schlage zweimal kräftig ab. Wir lösen uns voneinander und gehen auf die Ausgangsposition des jeweils anderen. Auch das ist alles fest vorgeschrieben. Nächste Technik…. Zum Ende dieser Technik liege ich fixiert auf dem Bauch, bei der dritten werde ich geworfen….

Insgesamt umfasst die Kata „Kodokan Goshin Jutsu“ 21 Techniken. Wir sind mit allem Drum und Dran rund 10 Minuten unterwegs. Dann grüßen wir gemeinsam ab und verlassen erst einmal die Matte. Still gehen wir in die Hallenecke, schauen uns an. „Wird es gereicht haben?“, fragt Adam. Ich kann ihn beruhigen – ihn und mich: „Ich glaube schon. Das haben wir wohl gut vorgeführt.“

Jetzt heißt es warten, bis alle Katas des heutigen Tages vorgeführt worden sind. Die Prüfer sind ein hochgraduiertes Team. Drei Meister aus anderen Vereinen. Vierter, fünfter und sechster Dan.

Wenn wir das hier heute schaffen, kann Adam sich eine Urkunde mit großen Namen aufhängen.

…, wenn….

 

Dann geht es endlich weiter. Die Prüfer sind nach der Beratung zurück am Prüfertisch. Niemand hat vom Prüfungswart seinen Jiu-Jitsu-Pass wiederbekommen. Ein gutes Zeichen. Alle haben die Kata bestanden. „Adam Jacko mit Partner bitte auf die Matte.“, heißt es dann. Auf zum Hauptprogramm. Nach der traditionellen Kata nun eine moderne, möglichst realitätsnahe Selbstverteidigung.

Erst zeigt Adam seine Fallübungen, rollt, stürzt, springt mit einer Hechtrolle über mich, derweil ich auf der Matte hocke. Danach greife ich mit einem Tonfa an. Adam muss schnell und präzise ausweichen. Angriffe mit Schlägen und Tritten gilt es zu blocken – Adam spult die sogenannte Grundschule zügig und kraftvoll ab. Bei den Würfen habe ich kurz das Gefühl, er wolle mit mir als Anschauungsobjekt beweisen, dass die Schwerkraft nur eine Theorie ist. Es geht weiter mit den verschiedensten Angriffen von mir. Erst kommen die Angriffe mit Kontakt: Ergreifen des Handgelenkes, des Revers, der Haare, Umklammerungen der verschiedensten Art. Adam muss sich seiner Haut wehren. Dabei gilt es für ihn, möglichst die ganze Palette der Abwehrmöglichkeiten des Jiu Jitsu zu zeigen. Mal wirft er mich und gefühlt bin ich wieder sehr lange unterwegs, bis ich mich auf der Matte abrollen kann. Mal würgt oder hebelt er. Und einige Angriffe kontert er mit harten Block- und Schlagkombinationen. Ja – heute wird es so einige blaue Flecken für uns geben.

Nach etwas über zehn Minuten ist die Hälfte des Programms um. Hier ist der härteste Punkt für die Kondition. Wir haben schon eine ganze Weile getobt, aber das Ende ist noch so weit weg. Auch über diesen Punkt kämpfen wir uns hinweg. Wieder ein garstiger Wurf – wieder das Ende der Schwerkraft – wieder aufstehen und angreifen….

Endlich – Kontaktangriffe vorbei – jetzt kommen Attacken mit Schlägen, Tritten und Waffen. Nach insgesamt 25 Minuten sind wir durch. Keine schlechte Zeit.

Wir grüßen ab – erst die Prüfer – dann wir unter einander – fertig. Und noch einmal heißt es runter von der Matte und warten. Für uns ist es das Ende des aktiven Teils. Wenn die Prüfer einverstanden sind, bekommt Adam heute Mittag den schwarzen Gürtel. Aber erst einmal sind die anderen dran.

Wir können nichts mehr tun. Kurz überlegen wir gemeinsam, was nicht so gut geklappt hat und was unserer Meinung nach besonders gut war. Doch wissen wir auch, dass unsere Meinung jetzt nicht gefragt ist. Jetzt sind andere gefordert, uns zu beurteilen.

Die Prüfungen sind irgendwann alle durch – die Prüflinge werden nach einer Beratungspause der Prüfer wieder auf die Matte gerufen. Adam ist dabei – das ist gut, denn wer es nicht geschafft hat, bekommt die Info unter vier Augen und braucht sich nicht mit aufstellen. Durchfallen ist schon schlimm genug – da muss man nicht auch noch vorgeführt werden.

„…die Prüfung zum 1. Dan Jiu Jitsu“, höre ich den Prüfungswart sagen, „hat bestanden: Adam Jacko.“.

Alle applaudieren. Adam geht nach vorne, holt sich seinen Pass, seine Urkunde und seinen neuen Gürtel. „…mit der Berechtigung und Verpflichtung…“ beendet der Prüfungswart seine Ansprache, „…den nächsthöheren Gürtel zur Jiu Jitsu-Kleidung zu tragen…“. Der Rest geht im Applaus der Zuschauer unter.

Adam kommt von der Matte, legt ein letztes Mal den braunen Gürtel ab und zum ersten Mal den schwarzen Gürtel um. Adam Jacko-sensei, 1. Dan Jiu Jitsu.

 

Impressionen einer Dan-Prüfung: